Die Speicher an der Brahe in Bydgoszcz sind beinahe wie ein Stadtwappen, wie ein ewiges, natürliches Logo von Bydgoszcz. Woher kommt der ganze Stolz und die Sympathie der Stadteinwohner für die – man könnte sagen – einfachen Speicher? Sie sind doch im Vergleich zu den reichverzierten Mietshäusern, stilvollen Kirchen oder bedeutsamen Denkmälern vielmehr bescheidene Bauten.

Bydgoszcz entstand an keiner zufälligen Stelle. Hier kreuzten sich die Landwege aus Großpolen Richtung Pommern mit denen aus der Krajna Richtung Masowien und seit jeher auch mit dem wichtigsten polnischen Handelsweg – der Weichsel. Auf der Höhe von Bydgoszcz ist die Weichsel eine wahre Wasserader, die sich auf natürlichem Wege mit einer anderen Wasserstraße verbindet – mit dem Fluss Brahe und seit dem 18. Jahrhundert über den Bromberger Kanal mit der Netze, der Oder und Westeuropa.

 

Im 15. und 16. Jahrhundert entwickelte sich Bydgoszcz besonders dynamisch. Die Antriebskraft für diese Entwicklung war selbstverständlich der Handel. Gehandelt wurde hauptsächlich mit Getreide, das in Kujawien, Großpolen, Pałuki und in der Krajna geerntet wurde, aber auch mit anderen Feldfrüchten und handwerklichen Erzeugnissen und Produkten: mit Bier, Wein, geflößtem Holz, Birkenpech, Honig, Salz, Zucker, exotischen Gewürzen, Töpfen und vielen anderen.

1604 schrieb ein gewisser Bernhardiner aus Bydgoszcz Folgendes:

Dank diesem wohltätigen Fluss erreichte die Stadt derartige Herrlichkeit und Reichtum, dass sich viele Adeligen, die sahen, dass ihr Vermögen schmilzt, in die Stadt begaben, um mit dem Ankauf von Getreide und dessen Versand nach Danzig ihre Defizite zu decken. Die Einwohner wiederum, die ihre Töchter an diese verheiraten, geben ihnen eine beachtliche Mitgift mit. Und das ist gerade der Grund, warum sich Bydgoszcz vor allen anderen Städten im Königreich Polen auszeichnet.

Die Stadt dehnte sich schnell über das durch die Stadtmauer abgegrenzte Gebiet hinaus aus. Die wirtschaftliche Prosperität wirkte wie ein Magnet. Sie begünstigte die Entwicklung der Ansiedlung in der Stadt. Und was glauben Sie, wie verlief die räumliche Entwicklung von Bydgoszcz vom 15. bis zum 19. Jahrhundert? Konzentrisch vom Altmarkt und dem Rathaus aus? Ganz im Gegenteil. Um sich davon zu überzeugen, genügt es, einen Blick auf die historischen Stadtpläne und den gegenwärtigen Stadtplan zu werfen. Bydgoszcz entwickelte sich der Brahe entlang – westlich entlang dem Bromberger Kanal und östlich Richtung Weichsel. Im heutigen Zentrum und früher von der Burg im Osten bis hin zur Mühleninsel im Westen war Bydgoszcz wie ein großer Umschlaghafen. An beiden Ufern der Brahe wurden Speicher mit kaufmännischen Kontoren sowie Lager, Anlagestellen und Renovierungswerften gebaut. Am Fluss wurden ebenfalls Klöster der Karmeliten, Klarissen und Bernhardiner, vor allem aber Speicher errichtet. Die Brahe war in der Stadt von größter Bedeutung. Wojciech Łochowski – Bürgermeister der Stadt im 17. Jahrhundert – schrieb voller Stolz in der Chronik:

Bydgoszcz ist auch für seinen Hafen berühmt. An beiden Flussufern stehen prächtige, sehenswerte Bauten, die lediglich zum Lagern des Getreides errichtet wurden, das hierher in enormen Mengen aus Großpolen und insbesondere aus Pałuki, der Krajna und der Kaschubei geliefert wird. Im ganzen Königreich Polen sucht man vergeblich nach einer anderen Stadt, in der jedes Jahr so große Getreidemengen gelagert werden, von hieraus wird es in einem günstigen Moment nach Danzig ausgeführt. Aus Danzig wiederum, flussaufwärts, werden nach Bydgoszcz eine Menge Heringe, Überseesalz, Orangen, französischer, rheinischer, kanarischer, kretischer oder Malvasia-Wein befördert.

In den Zeiten der Teilungen Polens verloren die Wasserhandelswege nicht an Bedeutung. Ganz im Gegenteil. Eine große Belebung brachte der Bau des Bromberger Kanals in den Jahren 1772-1800 und der Umbau der Münzinsel zur Mühleninsel mit sich, auf der ein Mühlen- und Speicherkomplex entstand, der u.a. die Verpflegung der preußischen Armee unterstützte. Ebenfalls zu jener Zeit wurden in einem Mäander der Brahe außerhalb der Mühleninsel und der damaligen Stadt die gewaltigen Königlichen Speicher erbaut, die aber im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. An ihrer Stelle steht heute die prächtige Opera Nova.

Der Transport auf dem Wasserweg blühte bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit der Zeit wurde er durch den Bahntransport verdrängt. Bis heute blieben in Bydgoszcz lediglich ein paar historische Speicher erhalten – aus der Zeit vor dem 19. Jahrhundert nur vier. Alle stehen im unmittelbaren Stadtzentrum am Flussufer, alle sind in Fachwerkbauweise errichtet und alle erfüllen heute eine museale Funktion.

Die drei Speicher in der Straße Grodzka 9-11 (die auch als gegenwärtiges Logo der Stadt fungieren) wurden 1793-1800 von dem Kaufmann Samuel Gottlieb Engelmann errichtet. Ursprünglich bestand der Komplex in der Grodzka-Straße aus fünf Reihenspeichern. 1960 brannten zwei von ihnen bis auf die Grundmauern nieder (13 und 15). Schon damals schrieben sie sich dermaßen stark in die städtische Tradition ein, dass bis heute Stimmen zu hören sind, die ihren Wiederaufbau fordern. Die erhalten gebliebenen Speicher wurden für Ausstellungszwecke des Bezirksmuseums in Bydgoszcz umgestaltet. 2006 wurden ihre gründliche Renovierung und die Modernisierung der Innenräume abgeschlossen.

Besonders beliebt und gleichzeitig sehr charakteristisch für die Stadt ist der erste Speicher aus Richtung Mostowa-Straße. Manchmal wird er auch „Holländischer Speicher" wegen seines Satteldachs mit Lehrgerüst genannt. Vor diesem Speicher wurden von nicht langer Zeit ein kleines Amphitheater und ein Bronzemodell des mittelalterlichen Bydgoszcz errichtet.

Der vierte und älteste Speicher in Bydgoszcz ist der sog. Weiße Speicher auf der Mühleninsel. Erbaut wurde er am Ende des 18. Jahrhunderts direkt am Fuße der nicht mehr bestehenden Lagerbrücke, an die ein wunderschöner, moderner Steg anknüpft, der die Mühleninsel mit der Opera Nova verbindet. 1975 ging der Weiße Speicher zusammen mit anderen Objekten auf der Insel in die Hände des Bezirksmuseums über.

Auf der Mühleninsel befinden sich noch zwei weitere Speicher. Sie stammen aber bereits aus dem 19. Jahrhundert. Etwa 1851 wurde am Fluss Brda-Młynówka ein Speicher für eingesacktes Mehl errichtet, der heute ein stilvolles Restaurant namens „Karczma Młyńska" (Mühlenwirtshaus) beherbergt. Auf eine würdige Neueinrichtung warten nach wie vor die sog. Rother-Mühlen und -Speicher gegenüber der modernen Marina im nördlichen Teil der Mühleninsel.

Am gegenüberliegenden Ufer der Brahe wurde in den alten Speichern in der Straße Stary Port 13 ein stilvolles Restaurant „Stary Port" (Alter Hafen) sowie ein populärer Jugendklub „Awangarda" mit einer sehr interessanten Inneneinrichtung (ul. Stary Port 21) errichtet.

Das alte und neue Bydgoszcz verbindet symbolisch die Skulptur des „Seiltänzers" des Bildhauers Jerzy Kędziora, die über der Brahe in unmittelbarer Nähe der Speicher aufgehängt wurde. Enthüllt wurde sie um Mitternacht am 1. Mai 2004 anlässlich des EU-Beitritts Polens.

An der gleichen Stelle, neben den alten Speichern an der Brahe, befindet sich auch ein moderner Speicher – das Gebäude der BRE-Bank, welches mehrmals in gesamtpolnischen architektonischen Wettbewerben ausgezeichnet wurde. Die moderne, wagemutige Form knüpft an das alte architektonische Ambiente des Zentrums von Bydgoszcz an. Im übertragenen Sinne dient er auch dem „Sammeln" und hoffentlich auch der weiteren Bereicherung der Bürgerinnen und Bürger der Stadt.