Das Rathaus in Bydgoszcz – das Herz der Stadt. Zusammen mit der städtischen Pfarrkirche und den Schutzmauern mit Stadttoren stellte es eines der Fundamente der räumlichen Organisation der mittelalterlichen Stadt, aber nicht nur. Das Gebäude des gegenwärtigen Rathauses von Bydgoszcz kann sich auch einer bereits 400-jährigen Geschichte rühmen, die ursprünglich mit dem Jesuitenkloster und Jesuitenkollegium verbunden war.
Die ersten Jesuiten kamen bereits 1616 nach Bydgoszcz. Ihre auf die Gegenreformation bezogene Mission wurde durch immer größer werdende Einflüsse von Reformationskirchen (besonders im Umfeld von Bydgoszcz und in der Krajna) verursacht. Dank der finanziellen Unterstützung des Bischofs Kasper Działyński (der u.a. den berühmten Kalvarienberg in Pakość stiftete), des Kronkanzlers und des Landrats von Bydgoszcz Jerzy Ossoliński sowie wohlhabender Bürger von Bydgoszcz errichteten die Jesuiten 1649 an der Stelle der zuvor übernommenen Parzellen und Mietshäuser im westlichen Teil des Marktes eine barocke Kirche mit zwei Türmen. Etwas früher noch, im Jahre 1673, erwarben die Jesuiten ein benachbartes Mietshaus für Schulzwecke. Die anfangs kleine Schule wandelte sich nach dem Ausbau in eine sog. Residenz, die 1674 in Kollegium umbenannt wurde.
 
 

 
Das große Gebäude des Kollegiums (das heutige Rathaus) wurde in den Jahren 1644-1654 errichtet. Das Kollegium war hauptsächlich für die Söhne des einheimischen Adels und der Bürger von Bydgoszcz, Danzig und Braniewo vorgesehen. Das neue ausgebaute Gebäude des Kollegiums wurde 1695 seiner Bestimmung übergeben. Das Jesuitenkollegium, das de facto die erste Hochschule in Bydgoszcz war, war ein bedeutendes Kultur- und Bildungszentrum für die ganze Region. Neben den typischen wissenschaftlichen und bildenden Tätigkeiten waren am Kollegium Musikkapellen tätig und es wurden auch Theateraufführungen veranstaltet. Seit 1623 wirkte dort sicherlich ein professionelles Theater, für das ein gesonderter Raum mit Bühne und ca. 300 Sitzplätzen vorgesehen war. Dieser Raum wurde sogar bis 1822 genutzt, d.h. bis das städtische Theater in den ursprünglichen Räumen des Karmelitenklosters (in der Nähe des heutigen Theaterplatzes – Pl. Teatralny) errichtet wurde. Besonders denkwürdig in der Tradition des Kollegiums musste der Tag sein, an dem der König Stanisław Leszczyński den Jesuiten einen Besuch abstattete. Zu Ehren des Königs wurde am 29. September 1734 ein prunkvolles Fest veranstaltet, auf dem die Professoren die Vorzüge des königlichen Gastes priesen, indem sie sich der Prosa und Poesie bedienten, die Jesuitenkapelle ein Konzert gab und Trompeter samt Tamburinspieler aus der Jesuitenburse die Prozession in das Kollegium begleiteten. An gegenwärtigen Kriterien gemessen ist es schwer zu sagen, inwieweit dieses „Event" einen künstlerischen Wert darstellte. Sicher ist, dass es laut und untertänig war. Das Jesuitenkollegium samt der Kirche, dem Kloster, der Burse und den Wirtschaftsgebäuden machten seit den Anfängen des 18. Jahrhunderts den größten Baukomplex in der Stadt aus. Bischof Załęski, der zu jener Zeit die Kirchen in Bydgoszcz besuchte, schrieb über ihn Folgendes: diese Gebäude bildeten zusammen mit der Kirche ein prächtiges Geviert, eine wahrliche Zierde des Marktes und der Stadt. Trotz dieser Tatsache bauen die Jesuiten ständig weiter, denn bis 1760 ist jeder Rektor des Kollegiums praefectus fabricae – Bauverwalter.

Das Kollegium war bis zum 12. Mai 1780 tätig, d.h. bis zur Auflösung des Klosters. Dann wurde in dem Gebäude ein protestantisches Gymnasium errichtet, in dem in deutscher Sprache unterrichtet wurde. Polnische Schule wurde erneut in dem Gebäude des gegenwärtigen Rathauses eröffnet, als Bydgoszcz Hauptstadt eines der Departements des Herzogtums Warschau wurde. Es war Departementhochschule und ihr wichtiger Unterstützer und häufiger Gast war Józef Wybicki, der Autor des Textes der polnischen Nationalhymne und zusammen mit Fryderyk Skórzewski aus dem benachbarten Lubostroń der Organisator der polnischen Verwaltung im Herzogtum Warschau. Nach dem Untergang des Herzogtums Warschau, war in diesem Gebäude bis 1878 das deutsche Königliche Gymnasium tätig. Als das Gymnasium in ein neues, von Friedrich Wilhelm gestiftetes Gebäude (mit einem reich verzierten Globus, einem einzigartigen Geschenk des Königs) verlegt wurde, kaufte die Stadt das alte Gebäude am Altmarkt zurück, um dort ein repräsentatives Rathaus für die sich zu dieser Zeit sehr dynamisch entwickelten Stadt einzurichten. Ein gründlicher Umbau wurde unverzüglich angestoßen. Die Fassaden wurden neu gestaltet. Barock wurde durch Klassizismus mit bescheidenen, eklektischen Stuckverzierungen ersetzt. Die Innenräume wurden ebenfalls grundlegend umgebaut und an amtliche Bedürfnisse angepasst.
 
 

 
 
Inwieweit sich der heutige Sitzungssaal des Stadtrates an die Auftritte der Jesuitenkapelle oder an die Besuche gekrönter Persönlichkeiten, wie des bereits erwähnten Königs Stanisław Leszczyński, aber auch des Königs Jan Kasimir, seiner Gattin, der Königin Luisa Maria Gonzaga, oder auch schon zur Zeiten der Besatzung Polens des Königs Friedrich Wilhelm III. und seiner Gattin Luise erinnern kann, kann heute keiner sagen. Es ist natürlich möglich, aber abgesehen von den Überresten der hunderte Jahre alten Mauern in den Kellern des heutigen Rathausgebäudes und den Gewölben in einigen seiner Räume mangelt es an weiteren sichtbaren Spuren des barocken Bauwerks. Bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts blieb in den oberen Stockwerken des Südflügels ein spätbarocker Türrahmen erhalten, aber auch vor ihm machten neuere funktionellere Lösungen keinen Halt.
 
 

 
Im Stadtpanorama war das heutige Rathaus bis 1940 von der westlichen Frontfassade des Altmarktes verdeckt, die aus der zentral gelegenen barocken Jesuitenkirche und den benachbarten Mietshäusern bestand. Das der Farna-Straße am nächsten gelegene Mietshaus beherbergte in der Zwischenkriegszeit das Städtische Museum. Der Haupteingang zum Rathaus war zur Jezuicka-Straße hin gelegen. 1940 erweiterten die deutschen Besatzer den Altmarkt, indem sie die ganze westliche Frontfassade niederrissen und die bisherigen Innenfassaden des Rathauses bloßlegten.
 
 


Eine gründliche Renovierung des Rathauses in Bydgoszcz wurde in den Jahren 1994-1996 durchgeführt, indem seine Fassaden erneuert wurden, Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung gewährleistet wurde und den Innenräumen ein neues Antlitz verliehen wurde.

An der nördlichen Wand des Rathauses, von der Farna-Straße aus, hängt eine Gedenktafel mit dem Abbild des Königs Kasimir des Großen, die anlässlich des 650-jährigen Jubiläums der Stadt Bydgoszcz anstelle einer anderen Gedenktafel aus dem Jahre 1946 aus Anlass des 600-jährigen Jubiläums enthüllt wurde.
Das Rathaus in Bydgoszcz, der Sitz der wichtigsten Ämter der städtischen Selbstverwaltung, eröffnet oft bei unterschiedlichen Feierlichkeiten, Ausstellungen, Präsentationen von Ergebnissen architektonischer Wettbewerbe, Konzerten, wissenschaftlichen Sitzungen usw. seine Tore für die Einwohner der Stadt. Es beherbergt auch eine Galerie der Ehrenbürger von Bydgoszcz und Wappen der Partnerstädte. Sicherlich nicht mehr viele können sich noch daran erinnern, dass das Rathaus an einem Aprilabend 2004 auf Initiative von Jan Machulski, dem herausragenden Schauspieler und Kunstpädagogen, zum Bühnenbild für das Stück „Romeo und Julia" von William Shakespeare wurde. Die Adepten der Schauspielschule des Meisters Machulski spielten am Haupteingang und auf dem Balkon, zu dem sie auch hochkletterten, wofür sie ebenfalls vom zahlreich auf dem Rasen vor dem Rathaus versammelten Publikum mit Beifall belohnt wurden...